Alter Wein in neuen Schläuchen – Warum personalisierte Ernährung schon tausend Jahre alt ist

In der heutigen Zeit der Fitnesstracker, DNA-Tests und KI-gestützten Ernährungsapps scheint personalisierte Ernährung der neueste Trend zu sein. Doch ist dieses Konzept wirklich so revolutionär, wie es auf den ersten Blick erscheint? Ein genauerer Blick in die Geschichte der Medizin und Ernährungslehre zeigt: Das Prinzip der individualisierten Ernährung ist alles andere als neu. Tatsächlich finden wir ähnliche Ansätze schon in jahrtausendealten Heiltraditionen wie Ayurveda, der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM).

Ayurveda: Der Pionier der personalisierten Ernährung

Ayurveda, die „Wissenschaft des Lebens“, entstand vor über 3000 Jahren in Indien. Zentrales Konzept dieser Lehre sind die drei Doshas – Vata, Pitta und Kapha – die die individuellen Konstitutionen eines Menschen beschreiben. Jeder Mensch hat eine einzigartige Kombination dieser Doshas, die seine physischen und mentalen Eigenschaften bestimmen.

Die ayurvedische Ernährungslehre empfiehlt, basierend auf dem individuellen Dosha-Typ, spezifische Nahrungsmittel und Gewürze. So wird beispielsweise Menschen mit einem dominanten Vata-Dosha geraten, warme, nährende und erdende Speisen zu sich zu nehmen, während Pitta-Typen von kühlenden und beruhigenden Nahrungsmitteln profitieren sollen.

TCM: Harmonie durch individuelles Gleichgewicht

Die Traditionelle Chinesische Medizin, deren Wurzeln bis zu 2500 Jahre zurückreichen, basiert auf dem Konzept des Qi – der Lebensenergie – und dem Gleichgewicht von Yin und Yang. Auch hier spielt die individuelle Konstitution eine zentrale Rolle.

In der TCM werden Nahrungsmittel nach ihren energetischen Eigenschaften klassifiziert – wie warm oder kalt, trocken oder feucht. Die Ernährungsempfehlungen zielen darauf ab, ein individuelles Gleichgewicht herzustellen. So könnte jemandem mit einem „Yang-Überschuss“ empfohlen werden, mehr kühlende Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, während jemand mit einem „Yin-Mangel“ wärmende Speisen zu sich nehmen sollte.

TEM: Europäische Wurzeln der personalisierten Ernährung

Auch in Europa finden wir Spuren einer individualisierten Ernährungslehre. Die Traditionelle Europäische Medizin, die auf den Lehren von Hippokrates und Galen basiert, unterscheidet vier Temperamente oder Humore: sanguinisch, cholerisch, melancholisch und phlegmatisch.

Jedes dieser Temperamente wurde mit bestimmten Nahrungsmitteln und Diätvorschriften in Verbindung gebracht. So wurde beispielsweise Menschen mit einem „cholerischen“ Temperament empfohlen, kühlende und feuchtigkeitsspendende Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, um ihr „heißes und trockenes“ Naturell auszugleichen.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Betrachtet man diese jahrtausendealten Traditionen, wird deutlich, dass das Konzept der personalisierten Ernährung keineswegs neu ist. Was sich geändert hat, sind die Methoden, mit denen wir individuelle Unterschiede erfassen und analysieren.

Moderne Technologien wie Genanalysen, Mikrobiomtests und Stoffwechseluntersuchungen ermöglichen es uns, die individuellen Bedürfnisse eines Menschen auf einer bisher unerreichten Detailebene zu erfassen. Dennoch basieren viele der grundlegenden Prinzipien – wie die Anpassung der Ernährung an individuelle Konstitutionen und Bedürfnisse – auf denselben Erkenntnissen, die schon unsere Vorfahren hatten.

Fazit: Das Beste aus beiden Welten

Anstatt die moderne personalisierte Ernährung als völlig neues Konzept zu betrachten, sollten wir sie als Evolution uralter Weisheiten sehen. Die Kombination aus traditionellem Wissen und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen bietet uns die Chance, ganzheitliche und wirklich personalisierte Ernährungskonzepte zu entwickeln.

Letztendlich erinnert uns dieser Blick in die Geschichte daran, dass der menschliche Körper und seine Bedürfnisse seit Jahrtausenden im Mittelpunkt der Ernährungslehre stehen. Die moderne personalisierte Ernährung ist vielleicht alter Wein in neuen Schläuchen – aber dieser Wein hat durch die Jahre an Reife und Komplexität gewonnen.